Mittwoch, 7. August 2013

Toene und Weiten

Essaouria musste erkaempft werden, mit der Durchquerung des nun glutheissen Marrakesch, der nicht enden wollenden Wartezeit am Bussbahnhof, dem unbequemen Sitz im Bus mit dem Knie des Hintermanns im Ruecken und dem Motorschaden des Gefaehrts, hinter der Zimmerwerberin im Laufschritt her ueber staubige Strassen und verdreckte Plaetze im boeigen Meerwind, und schliesslich noch mit einer frierenden Wartestunde am falsch verabredeten Stadttor, bis wir endlich wieder beisammen waren, Lisa, Albert und ich, wir drei lesende Reisende, bei einem guten Abendessen, Fischspezialitaeten auf riesigen Platten, mit richtigem Wein.

Beim Betreten der Stadt hab ich bereits ihren Ton gehoert. Er kam ueber die Mauer, vor der wir gingen und hinter der ich das Meer vermutete wegen des Scheins des Himmels, und muesste vom Boewind geblasen worden sein, der Staub und Dreck durch die Gassen wirbelt, und er trug Salzgeruch und Geruch von Fisch und Seetang und schrilles Moevengelaechter, ohne dass ich noch etwas anderes gesehen haette als dunkelnde Gassen und Mauern. Auch in meinem Zimmer im Riad/Hotel war dieser Ton, reiner und bestimmter jetzt, durch den offenen Hof in jedes Stockwerk gelassen in jedes nach innen offene Fenster, durch sich leicht wiegende Vorhaenge. Am Markt schien sich der Ton verloren zu haben, in den Nebengassen war er noch leise, am Fischerkai aber war er ein Brausen, in das die weissen Riesenvoegel hineinkraechzten nach Herzenslust, und die Arbeiter an der Bootswerft dazuklopften mit ihren Haemmern auf dem aufgetuemten Schiff thronend.

Es koennte aber Essaouria auch in Europa liegen, in Sizilien vielleicht oder natuerlich in Andalusien, denn die Gaesschen waren so verwinkelt nicht und die Abzweigungen nicht so aberwitzig, dass man sich nicht gleich zurechtfinden konnte, und das Meer lag nach der selben Seite wie in Cadiz, und kuehlte die afrikanische Sonne auf ein ertraegliches Mass. Die Geschaeftemacher waren nicht so frech und aufdringlich, dafuer waren pumphosentragende Europaeer allgegenwaertig. In dunklen Eingaengen wurde Haschisch angeboten, und an jeder Ecke Drusensteine, Keramikgeschirr und Holzschnitzereien. Auch afrikanische Gesichter waren hier wieder haeufiger, die in den Bergen ganz gefehlt hatten, und auch afrikanische Musik.
Vom Meerwind weiss ich, das er kilometerweit das Landinnere bewaessert und fruchtbar macht, das war auch auf den Bus/ und Bahnfahrten zu sehen gewesen, gruene Felder und Waeldchen bis zum Horizont. Wie weit aber der Ton ins Land reicht und was er hervorbringt, dass weiss ich nicht und wuesste auch nicht, wie das zu erforschen waere

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Wir Streber

Zuerst strebte ich nach dem Gassengewuehl der Medinas, und dann nach der Stille der Berge. Zuerst strebte ich danach, mich dem pulsierenden Geschiebe zu ueberlassen, dann strebte ich hoch hinaus.
Hoechstmoeglich.
4.167 Meter, hoeher gehts nicht im Atlasgebirge.
Imlil ist ein Bergdorf, die Haeuser an den Fels gelehnt und schlank. Die Terrassen schauen ins Tal und zum Gegenhang. Die Menschen wohnen mit den Tieren unter Nussbaeumen und gehen ueber schmale Wege.
Noch vor dem Morgengrauen brachen wir auf, zu dritt. Oft waren wir schneller als unsere Fuesse, denn der Berg war weit und unser Plan ehrgeizig. Viele kurze Stunden bogen wir in Taeler und strebten mehr und mehr in die Hoehe. Als die Sonne ueber den Bergrand sah, waren wir schon weit und atemlos, und der Vormittag neigte sich. Wir teilten das Tempo unter uns auf, die Nelter Huette erreichten wir getrennt. Dann begann die Luft duenn zu werden, der Pfad steil und die Schnaufpausen haeufig. Aber hier war der Berg bevoelkert mit Herunterkommern, die vom Rettungshaus aufgebrochen waren. Einem zehnjaehrigen Maedchen rief ich Lob zu, das furchtlos ueber die sandigen Steilstufen herabturnte, der Vater uebersetzte ihr, und sie dankte mit einem froehlichen Lachen. Als der Letzte dieses Tages strebte ich hinauf, traf meine Begleiter, erstieg das letzte Stueck, sah weisse Kuegelchen am Boden, sah den rotbraunen Boden mit Flecken sich sprenkeln, sah den Hang grau werden und wieder hell, sah aufgeschichtete Steinmaennchen und schliesslich anstelle des Kreuzes ein Holzgestell, und sah dahinter in andere Taeler hinunter, helle und dunkle.
Chin hatte mir einen Stock geliehen, zum ersten Mal ging ich dreibeinig, ich dachte, wenn sogar die Tiroler mit Schnitzstoecken gehen, so muss ich mich dieser Beinvermehrung nicht verweigern, und wurde schneller und lauter, und war bald nach Mittag wieder beim Rettungshaus und hatte einen nassen Schauer uebestanden.
Ich haette dort einen dieser Pfefferminztees getrunken, die man ueberall ausschenkt zum Wachbleiben, Schnellerwerden und Ruhigerwerden, wenn er wirklich bereits fertig gebrueht gewesen waere wie zugesichert, aber nach der verstrichenen Viertelstunde auf der Holzpritsche vorm Haus mit dem Ruecken an der Steinwand, die miteinander scherzenden Europaeer vor mir, wandte ich dem Haus den Ruecken zu und lief weiter, bald Rufe hinter mir. Die Talstrecken sind unterdes laenger geworden, viel laenger und steiniger als am Vormittag, die wirkliche Muehe war der Rueckweg. An der Bruecke am Bach stand ein leeres weisses Mausoleum eines Dschinn, vor diesen Geistern graut Muslimen, und solange ich alleine ging, konnte ich sie an den Berghaengen rufen hoeren von den Schafen her oder von vereinzelten Hirten, die ploetzlich aus dem Geroell ragen oder aus Distelpolstern und Schnalz/ und Zwitscherlaute zu Tal schicken mit vesteinerten Minen. Auf Eseln sitzend schaukelten Bergbewohner und erwiderten kaum den Gruss, den Blick zu Boden gerichtet, als wuerden sie die sorglosen Europaeer verachten, die ihnen fuer Geld das Gepaeck ueberliessen und leicht gekleidet hinterdrein sprangen und nur untereinander verkehrten. Lisa hat spaeter festgestellt, dass man kaum mit einem Marokkaner ins Gespraech kommen koenne, man sei einzig ein moeglicher Kaeufer hier fuer ichweissnichtwasundalles in allen Sprachen der Welt, darin seien sie zu bewundern. Uns dreien aber erklaerte der Sohn des Hauses an diesem Abend stolz die Gebetsnacht an einem der letzten Tage des Ramadan, wo der Himmelfahrt des Propheten gedacht wuerde, durch Rezitation des Koran, die wir durch die Hauswaende hindurch verfolgen konnten, die winzige Moschee war gegenueber: hier aber widersprach ich, die Himmelfahrt stuende nicht im Koran, nur in der Hadid, doch Hassan wiederholte geduldig das Gelernte und versicherte uns der Gewissheit und Zustimmung aller Glaeubigen angesichts der vorgetragenen Lehre, und wir bewunderten seine Innigkeit im Glauben, denn es ging um die persoenliche dankbare Hinwendung jedes Glaeubigen an seinen Schoepfer, und nicht nur um ein Ritual, und in dieser Nacht wuerde er zu drei oder vier Stunden Schlaf kommen, bis er fuer andere Wanderer wieder ein Fruehstueck richten wuerde im Morgengrauen, und fuer seine Familie davor. Ueber die Koransuren haben wir nicht mehr gesprochen am naechten Tag, ich haette die betreffenden nennen koennen, aber es wurden einige Zimmer ausgemalt, und fuer die Homepage steuerte ich einige tadellose Zimmerfotos bei. Ansonsten verbrachten wir den Folgetag mit Liegen, Lesen und Gespraechen, mit interkontinentalen und interreligioesen sozusagen.
Aber die letzten Kilometer des Tages schleppte ich mich ueber weite Boegen wie ein alter Mann am Stock, und wusste, dass meine Gefaehrten, die schon zurueck sein mussten, kein Bier wuerden auftreiben koennen, denn zum Abend/Couscous waren wir verabredet, und bis dahin fand ich sie schlafen, wie sie gekommen waren.

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Montag, 5. August 2013

Laut und Lisa

Auch in Marrakesch beginnt der Tag mit dem Hahnenruf, der den Muezzin weckt.
Der Vormittag gehoert den Tauben, die den Bewohner der Dachterasse daran erinnert, dass er von einer Stadt umgeben ist. Dann diese unauffaelligen Voegel, Ruecken und Fluegel wie Spatzen, und auch genauso frech neben dem Fruehstueckstisch, aber mit roetlicher Brust und froehlichem Zwitschern. Draussen haengen neben den kleinen Geschaeftseingaengen schmale Vogelkaefige mit winzigen Singvoegeln, die ihre komplizierten Melodien durch die schattigen verschlafenen Gassen hallen lassen. Zuweilen blinzelt ein Berber hinter seinen geschnitzten Figuren hervor, die Matratze im Schatten der Geschaefte ausgebreitet und damit beschaeftigt, den langen Sonnentag des Ramadan zu ueberstehen.
Am Djemaa el-Fna ist Durchzug von Einkaeufern, die auf bestimmte Geschaefte zusteuern, oder mit Plastiksaecken zurueckkommen, es ist Baulaerm von der Moschee her, und viel Staub, und ein gewisses Summen. Die Schlangenbeschwoerer beginnen sich um die Sonnenschirme zu lagern, die verstreut aufgestellt werden, dann und wann gucken sie unter die flachen Hauben, ob die Kobras noch da sind. Affen kommen angetanzt, so unbeschwert und gelassen, dass erst spaeter der an der Kette haengende jeweils zugehoerige Mann sichtbar wird. Obstverkaeufer stapeln die Orangen auf ihren Wagen, die Souvenierstaende reihen sich langsam an der Schattenseite, am wenigsten beachtet. Am Meeresstrand liegt Lisa mit verdorbenem Magen, Ralf landet in Marrakesch und sucht die Autovermietung. Das Summen wird voller.

Auf meinen Streifzuegen durch die Mella, die Canetti so ergreifend beschreibt, habe ich zwar die Synagoge gefunden, aber weder einen Juden noch ein juedisches Haus, wohl aber einen Menschenschlag, der dem beschriebenen sehr nahe kommt. In den schmalen Gassen muss ich mich hinter blau oder rosa gekleideten breiten Frauen vorbeischieben, sehe duerre Maenner um kleine Streifen Fleisch feilschen, ueber denen im Fenster ein feistes Gesicht thront. Zwei junge Burschen saegten aus einem Blechstueck Metallschmuck aus, Hefte, Zigarretten und Seifen waren am Gehsteig gestapelt, verschleierte Frauen sassen tief ins Gespraech vergraben auf der Tuerschwelle, ein Moped zwaegte sich vorbei, ein aberwitzig kleines Kaetzchen tollte zwischen den Fuessen umher. Am Friedhof waren ausser den auf das Eisentor gemalten hebraeischen Buchstaben keine Schriftzeichen zu sehen, am wenigsten auf den Graebern mit ihren kistengrossen flachliegenden walzenfoermigen Sockeln, den einzigen Gebaeuden, die nicht dem Himmel, sondern der Erde zustrebten. Auf der Umfassungsmauer sassen die Stoerche, blickten besorgt auf das Treiben herab und klapperten dazu mit den langen Schnaebeln.

Das Summen hatte zugenommen. Nun lockten Schnarrfloeten die Kobras unter ihren Hutverstecken hervor, und die Besitzer registrierten mit Adleraugen jeglichen interessierten Blick, um rasch die Kobra anzustupsen, damit sie ihren Hals aufblaehte, waehrend der Mitarbeiter sich von hinten heranschlich und mir eine Schlange um den Hals zu legen versuchte, die, da sie sich dabei ringelte, ihre gelben Bauchringe entbloesste. Wer stehen blieb, bekam einen Affen auf die Schulter gesetzt, der mit dem gleichmuetigsten Gesicht dasass und, sobals sich der unbedarfte Traeger vom Schreck erholt hatte, mit einem Satz zu seinem Besitzer zurueckkehrte. Die Essensstaendchen sind aufgestellt, da und dort wird noch ein Wagen ueber den Platz gezogen. Wasser/ und Milchflaschen warten im Wasserkuebel, frisches Obst wird zu Saft gepresst und in Plastikflaschen und Glaeser gefuellt. Kohlefeuerchen werden entzuendet, Fleischbaellchenroesten am Gitter, Rauchschwaden ziehen ueber den Platz. Die Sitzgaerten fuellen sich, Europaeer drehen bereits Fleischspiesschen zwischen den Zaehnen, Marokkaner warten noch gesenkten Hauptes auf den erloesenden Ruf des Muezzins, den Teller vor sich.
Dann scheint der Platz noch einmal den Atem anzuhalten. An den Eingaengen zu den Moscheen draengen sich Maenner, Gesaenge droehnen heraus, Schweissgeruch und Geschaeftigkeit. Doch dann beginnt ein Toben. Die Essstaende werden gestuermt, Kinder jagen ueber den Platz, die Schlangen wollen sich verkriechen, der Uhu blickt entsetzt um sich wie aus einer fremden Welt. Haendlergeschrei und Kundengeschrei vermischen sich, Mopedgeknatter und Floetenspieler. Europaeische Maedchen versuchen, mit einer an einem langen Stock haengenden Schlaufe eine der aufgestellten Trinkflaschen zu fassen, die Agame steckt in ihrem kleinen Bambuskaefig fest, die Maeuse draengen sich in ihrem Gehaeuse aneinander und versuchen so, das Schlimmste zu ueberstehen. Bis Mitternacht steigt der Laerm so weit, dass die Aufrufe zum Nachtgebet darin versinken, obwohl mit Verstaerkeranlagen vorgetragen, ein Lebenswille scheint durchzubrechen, der den ganzen Tag im Schatten geschlafen hat, das Tagesgeschaeft, das Tagesvergnuegen pocht nun auf sein Recht, und wie die Kaempfe ausgegangen sind, koennen wir am naechsten Vormittag nur ahnen, da der Muell eingesammelt und der Platz gekehrt wird.

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Donnerstag, 1. August 2013

Zu Gourrama

Glausners Fremdenlegionsroman ist das Gegenteil einer Abenteuergeschichte, keine Spur von Krieg und Tapferkeit, sondern eine ueberraschende Studie der Langeweile am Wuestenrand, in einer Umgebung, die den Ausnahmezustand zum Alltag hat.
Es ist am Rande auch eine Kulturbegegnung, aber weniger zwischen Europaeern und Arabern, sondern eher unter den Europaeern, oder noch mehr zwischen Maennern, die sich gehen lassen und solchen, die an sich halten und nachdenken.
Es sind Beobachtungen, welche Arten von Menschlichkeit unter diesen Bedingungen zum Vorschein kommen, in der Maennergesellschaft mit der winzigen Bewegungsfreiheit eines Militaerlagers, die zuletzt noch radikal eingeschraenkt wird.
Aber die wirklich erzaehlte Geschichte ist eine Gnadengeschichte. Kafkaesk entsteht sozusagen aus dem Nichts und aus Missgunst eine Schuld, die sich immer drohender auftuermt ueber dem Protagonisten, so lauter seine Motive auch sein moegen, und die Bereitschaft, diese Schuld auch anzunehmen, klassifiziert sie als Daseinsschuld, der nicht zu entrinnen ist und von der man nur begnadigt werden kann.

Und in dieser sozusagen religioesen Konnotation ist es auch eine Hoergeschichte. In der tristen Ereignislosigkeit des Lagers sind Blicke und Wortwahl, Luftzuege und sogar Pausen, besonders aber die unverhofft umschlagende Stimmung unter den Soldaten die eigentlichen Ereignisse; es sind die Stimmen und Zeichen, auf die der Protagonist reagiert und antwortet. Erst am Ende stellt sich heraus, ob es Gnadenzeichen sind oder ob sie in die Irre fuehren. Der Schluessel dafuer ist die ZEIT.

Mittwoch, 31. Juli 2013

Die Arabeske

Es musste so kommen.
Seit dem ersten Tag meiner Reisestand es bereits fest.
Man blaettere nach bei der Alhambra in Granada.
Auch auf den querstehenden Bildern sind die Arabesken zu erkennen.
Assyrische Rankenornamente waren im arabisch\iranischen Kulturraum beliebt, wovon die Kuenstler im maurischen Reich viele Zeugnisse hinterliessen. Arabesken gibt es auf Wandverzierungen, geschnitzt oder auf glasierten Fliesen, auf Teppichen oder im Staedtebau. Aber auch die Literatur des islamischen Kulturkreises hat arabeske Formen, Erzaehlungen mit vielen Verzweigungen, in denen man die Uebersicht verlieren mag, so wie in den Eposoden aus 1001 Nacht. Und die Literatur wird wieder manifest in den Schriftzeichen, die zu Dekors werden bis zur Unkenntlichkeit, und arabische Architekten Koranverse in eine Kirche zeichnen konnten. Aber haben nicht auch Koransuren selbst arabeske Formen?

Zielloses Umherschweifen als Kulturgut.
Gefuehrtwerden ohne genaue Zielkontrolle als spirituelles Programm.
Sich einem unsichtbaren Traeger ueberlassen, symbolisiert durch das Menschenteiben, das zwar aus vielen Einzelnen, durchaus planhaft Agierenden besteht, die aber dem Ortsfremden unbekannt sind.
Durch die Stadtanlage gefuert, auch auf Entscheidungen hingefuehrt, auf Wegentscheidungen, Richtungsentscheidungen, und dort dann sich selbst ueberlassen.
Oder gerade dort vor sich selbst hingefuehrt.


Ich kann es auch so sagen:
Wie berauscht treibe ich durch Gassen und Sukks, umfangen von Geraeuschen und Geruechen, gelockt von Anblicken, Verheissungen und Aussichten, und vergesse in der Fuelle bald das Einzelne. also mich.
Dann aber werde ich von einem Ruf erreicht, werde etwas gefragt, bekomme etwas angeboten, und kann unversehens zum Nachfolger eines ungesuchten Fuehrers werden, der mir ein Besichtigungsziel unterschoben hat. Ich kann aber auch durch staendiges Ausweichen und Zurueckweisen bald grantig werden; auch das spiegelt mir die Medina wieder, da sich die Leute an mich erinnern. Ich werde also, so oder so, in das Stadtgeschehen hineingewoben, einer der Faeden auf dem Webstuhl, den ich heute zu sehen bekam, wo ich einmal mitging.

Die Kreuzung ist die jeweils neue Situation, die zu entscheiden ist. Die Arabeske ist die Notwendigkeit der Abirrungen, als Teil der Geschichte.

Zuerst noch Cordoba

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Dann Arabesken aus Fez

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Dienstag, 30. Juli 2013

Erneut auf Wellen

Ohne noch je am Strand gewesen zu sein, hat es mich hier wieder erfasst, und maechtiger als zuvor in andalusischen Staedten. Das Gassenlabyrinth der Hafenstadt Tanger ist noch viel strenger und verzeiht kleinste Gedaechtnisfehler nicht, denn es gibt keine Orientierungen mehr ausserhalb, und die Biegungen und Auffaecherungen sind unberechenbar und zugleich in alle Richtungen moeglich. Wenn nach diesem Geschaeft jenes Plakat kommt, dann die steile Stiege und schliesslich das Telefongeraet, muss das noch lange nicht der richtige Weg sein, denn dasselbe gibt es dutzendfach. Du kannst von einem markanten Punkt aus gehen und fuenf oder sechsmal rechts abbiegen, ohne wieder zurueckzugelangen oder gar eine Bruecke oder einen Tunnel zu queren. Du kannst nach den Unmengen Pfefferminztee den Blasendruck kaum halten, das Quertier aber auch nicht finden in rechter Zeit, und taumelst einem Teppichhaendler in die Arme, der die Theorie vom Fliessen ansatzlos versteht und dich eine Stunde spaeter mit einem neuen Teppich entlaesst. Eigentlich hat er mich angesprochen und mich mit Blick auf meine Wasserflasche um einen Schluck Wasser gebeten; dass ich dazu bereit war, hat er spaeter als grosszuegig bezeichnet.
Was mit Ereignisdruck und Unterdruck mich durch den Tag schob und zog, waren das Vater!Sohn!Paar aus dem Salzburgischen, mit denen ich mich gern weiter unterhalten haette, weil sofort ein wortloses Einverstaendnis dawar, aber der Irrgarten verhinderte die neuerliche Begegnung, und im Cafe Central meinte ich bereits die ganze Stadt vorueberziehen gesehen zu haben, sowie alle Touristen zweimal; bis eben auf die beiden. Stattdessen hatte ich lange Gespraeche mit dem Teppichhaendler, und dann noch eine voellig unerwartete Begegnung mit Albert und Lisa aus Bologna, die wir einander gar nicht genug erzaehlen konnten in der kurzen Zeit, die der alle Sprachen der Erde sprechende Stadtfuerer uns liess. Und ich war unter Sisters of Charity aus Indien und Afrika, und besonders unter ihrer Kinderschar, die mir augenblicklich zustroemte, als ich kaum zur Tuer hereinkam; und an der Schwelle blieb ich hocken eine ganze Stunde und drueckte fortwaehrend Kindern Spielsachen in die Hand oder hatte sie auf den Knien sitzen oder versteckte die Kamera vor ihnen, denn sie wollten es durchaus selber klicken lassen.

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Montag, 29. Juli 2013

Nachmittag in Tanger

Vom Cafe Central aus gesehen:
Webstuehle aus einem Kettengestell. zu dem sich die Faeden quer ueber die Gasse spannen/
Die katholische Mission der Sisters of Charity, die hier arbeitender Muetter kleine Kinder betreuen und verzweifelt Fluechtige beraten/
Teure und bullige schwarze Autos. denen Herren in schmalen Seidenkaftanen entsteigen und zur nahen Moschee schreiten. Beim Zurueckkommen haben sie Handys an beiden Ohren und lassen mit der Fernbedienung die Zentralverriegelung mehrmals ueber die Gasse pfeifen/
Eine Haendlerschar bietet dem franzoesischen Damentriumphirat nacheinander Huete. Silberschmuck und Tuecher an, schliesslich hat einer auch noch Sitzpoelster aus Leder/
Ein Streit zwischen einem an der Hausmauer sitzenden Bettler und einem Schuhputzer, der arglos mit seinem Schemelchen neben ihm Platz nehmen wollte, aber mit Geschrei und heftigen Bewegungen vertriezben wird/

Ein etwa vierzehnjaehriges Maedchen, das mit einigen anderen im Schatten eines Hausflures kauert und sich schmunzelnd und mit ungeheuer interessierter Mine einer Erzaehlerin zuzwendet, um ihre Geschichte fertig zu hoeren; bei mehreren erfolglosen Streifzuegen nach meinem Quartier sehe ich sie immer wieder, die Geschichte ist also noch nicht fertig/
Ein Handkarren mit aufgeschlichtetem Baugeruest fuer mindestens ein Hochhaus, der von mehreren Maennern ueber abschuessige und verwinkelte Gassen bugsiert wird/
Ein Beinloser, der in einem Rollstuhl am Stadttor kauert, zu dem eine Marokkanerin sich lange hinkauert, waehrend das Geschiebe rundum fuer Momente aussetzt und die Luft anhaelt/
Die eigentlich Ausgestellten auf dieser Stadtbuehne vor den von Altagsgeschaeften eingenommenen Marokkanern sind eigentlich wir Europaeer in unserer Skurrilitaet/

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Samstag, 27. Juli 2013

Wieviele

Mariendarstellungen passen in eine einzige Kirche, und sei sie auch der Maria geweiht?

In Spanien ist das anders zu beantworten.
Ein Beispiel:

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Mein Verbleib

Algeciras ist, bei aller touristischer Unscheinbarkeit, doch schon am meisten orientalisch von den besuchten spanischen Staedten. Das beste Restaurant der Stadt ist ein marokkanisches, das erst kurz vor Ende des Ramadan oeffnet. Die Muslime bekommen dort ein Schaelchen mit einem hartgekochten Ei hingestellt, einigen Datteln und Nuessen, sowie einem Glas Milch und einenm Glas Orangensaft. Davor sitzen sie dann stumm und schauen der Sonne beim Untergang zu.
Kopftuchtragende Frauen mit Kindern queren die Plaetze, Maenner in Pumphosen oder langen Umhaengen treten aus Haustoren und schlendern durch die Gassen, Afrikaner haeufen ihre Waren auf der steilen Nebenstrasse zum Markt auf, neben denen sie dann missmutig hocken, wissend, dass es nur Plunder ist, und sich einzig untereinander unterhalten.
Die Kirche wird immer wieder besucht, eine Frau erklaert mir das Bild von Josemaria Escriva, dem Opus Dei-Gruender, dessen Bild im Eingangsbereich haengt.
Viel zu spaet und zu lange sitze ich im Cafe in einer Nebengasse des Marktes und sehe Haendler ihre kleinen privaten Tische aufbauen. Zuerst sass dort ein Losverkaeufer. Ich erinnere mich, auch anderswo diese Art reiner Geldgeschaefte gesehen zu haben, die aber den Blinden zugute kommen, die sie auch verkaufen.
Jetzt schlurft eine kleine duenne Frau mit einem hoch beladenen Waegelchen heran, am Kopf ein Kopftuch und dicke Brillenglaeser. Sie klappt zwei Tischchen auseinander und breitet darauf zwei grosse Koerbe mit Petersilienstraeussen auf, daneben andere Kraeuter und verschiedene Flaeschchen. Kaum hat sie damit begonnen, bleiben bereits Kunden stehen und greifen nach den Kraeutern, waehrend sie, fuer Zuschauer fast unertraeglich, nach hinten gewandt immer noch in den Taschen und Saecken kramt und stoebert. In dieser angespannten Situation kommt nun der Besitzer des Geschaefts hinter ihr und schiebt ungeruehrt den Rollladen hoch, wodurch sich ihr Geschaeftsbereich auf einen knappen Meter verkleinert. Gegenueber steht schon lange ein Mann mit einem ueberdachten Doppeltisch und legt ein Buch um das andere auf, als waeren es alles Heiligtuemer. Jedes sieht er an und wendet es nach allen Seiten, bis er den richtigen Platz am Tisch findet. Er macht es unbeachtet fuer sich selber. Ich wuerde mit eigenen, gelesenen Buechern natuerlich genauso umgehen, falls ich mich entschliessen koennte, irgendetwas davon herzugeben.
Ich will es kurz machen und gestehe: Ich habe es versaeumt, gleich am Vormittag nach Ceuta weiterzureisen, verfuehrt durch das guenstige Quartier und das leicht zugaengliche Internet-Cafe, und habe erst jetzt mit Entsetzen bemerkt, dass bereits die Haelfte meiner Reisezeit vergangen ist und ich von Marokko noch nichts als einen Kuestenfelsen aus der Ferne gesehen habe, und einige Entkoemmlinge, die in der europaeischen Hafenstadt gelandet sind.

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Freitag, 26. Juli 2013

Meine rechtzeitige Flucht

aus Cadiz war ein Segen. Hatte ich schon den Vormittag unter verhangenem Himmel im Kaffeehaus vertroedelt, so zogen mir die Preisvorstellungen nun auch der benachbarten Pension den letzten Nerv, und ich packte kurzerhand zusammen und nahm den Bus nach Algeciras, einer haesslichen Hafenstadt, die aber ganz nahe zu Gibraltar liegt, wo ja weitere Grenzstudien geplant sind. Und von da an gab mir alles recht. Ich stieg aus und fand mich schnurstraks zurecht, zog wie ein Angekuendigter in der Stadt und in der Pension ein. Ein verschmitzter Spanier, mit dem ich mich sofort verstand, auch sprachlich. Seine Putzfrau hatte er Fatima gerufen. Das Zimmerchen war klein, sparsam und sauber, so wie ich es liebe. Und nach kurzer Orientierung in der Stadt trat ich meinen geplanten Ausflug an. Der Bus fuehrte mich um die Bucht herum und naeherte sich dem markanten Felsen. Ich schritt auf dem breiten Boulevard aus und reihte mich in die allmaehlich anschwellende Menge ein. Zugleich erhoehte ich mein Tempo, denn ich wollte nicht zurueckfallen und ueberrollt werden. Den ein oder zwei Grenzern hielt ich laessig den ungeoeffneten Pass hin, ich wurde wie alle anderen durchgewunken. Dann kam die naechste Absonderlichkeit: die ungeduldig ruckelnde Schlange aus Autos, Motorraedern, Fahrraedern und Fussgaengern musste,vorbei an erhobenen Schranken, die riesige Asphaltebene des Flugfeldes ueberqueren. Und erst dann erreichte man die Stadt, eingebettet in eine unbegreifliche Geschaeftigkeit, die sich noch weiter steigerte, bis zu den britischen Einkaufsstrassen - die sich auf den ersten Blick von den spanischen vielleicht nur durch die vielen Spirituosengeschaefte unterschieden. Das war eine innereuropaeische Grenze. Hier galt der gibraltesische Pfund, zusammen mit dem britischen. Es gab ein eigenes Autokennzeichen. Knapp 30.000 Einwohner haben britische, spanische, italienische oder portugiesische Herkunft, 78% davon sind katholisch, 4% muslimisch, 2% juedisch. Man sieht sofort, dass an Gibraltar der afrikanische Massenexodus spurlos voruebergeht - dafuer ist die Bevoelkerung ueberaltert.
Bis dahin war ich einer von tausenden Touristen, vielleicht ein besonders ahnungsloser. Aber dann trat ich in die Kathedrale (was fuer ein Unterschied zu den spanischen!), St. Mary The Crowned, ein ganz normales Kirchlein, nichts Uebertriebenes darin, ein paar Statuen und Bilder, natuerlich auch da einige Mariendarstellungen - aber vorn nur ein Kreuz. So kam ich ins Gespraech mit dem vermeintlichen Mesner - und nun war ich ein anderer. Es war der Florist, der fuer eine Trauung den Blumenschmuck anbrachte, zugleich auch Pfarrgemeinderat, und knapp vor einer Wallfahrt nach Cork, Irland. In Lourdes und Medugorje war er schon gewesen, in Santiago de Compostela auch natuerlich, dem spanischen Heiligtum.

(Dieses selbst taugt eigentlich bereits als GRENZSYMBOL: das erst im 9. Jahrhundert entdeckte Apostelgrab war aus dem Heiligen Land hierher verlegt worden wegen dem Sarazenen-Ansturm im Osten, waehrend in Spanien die Mauren herrschten. Christliche Siege wurden nun dem Apostel zugeschrieben, eine Einigung christlicher Koenigreiche in Anwesenheit des Apostels leichter gelingen. Nach der Zurueckdraengung der Mauren bekam die Wallfahrt bald eine europaeische Perspektive der Einigung unter christlichem Banner.)

Als Priester und Grenzwaerter stieg ich heute auf den Felsen, besah die ganze Bucht beiderseits des Felsens, und den gegenueberliegenden Kontinent. Und als solcher kam ich zurueck, muede und sonnverbrannt, aber als Erfahrener.

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