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Mittwoch, 7. August 2013

Wir Streber

Zuerst strebte ich nach dem Gassengewuehl der Medinas, und dann nach der Stille der Berge. Zuerst strebte ich danach, mich dem pulsierenden Geschiebe zu ueberlassen, dann strebte ich hoch hinaus.
Hoechstmoeglich.
4.167 Meter, hoeher gehts nicht im Atlasgebirge.
Imlil ist ein Bergdorf, die Haeuser an den Fels gelehnt und schlank. Die Terrassen schauen ins Tal und zum Gegenhang. Die Menschen wohnen mit den Tieren unter Nussbaeumen und gehen ueber schmale Wege.
Noch vor dem Morgengrauen brachen wir auf, zu dritt. Oft waren wir schneller als unsere Fuesse, denn der Berg war weit und unser Plan ehrgeizig. Viele kurze Stunden bogen wir in Taeler und strebten mehr und mehr in die Hoehe. Als die Sonne ueber den Bergrand sah, waren wir schon weit und atemlos, und der Vormittag neigte sich. Wir teilten das Tempo unter uns auf, die Nelter Huette erreichten wir getrennt. Dann begann die Luft duenn zu werden, der Pfad steil und die Schnaufpausen haeufig. Aber hier war der Berg bevoelkert mit Herunterkommern, die vom Rettungshaus aufgebrochen waren. Einem zehnjaehrigen Maedchen rief ich Lob zu, das furchtlos ueber die sandigen Steilstufen herabturnte, der Vater uebersetzte ihr, und sie dankte mit einem froehlichen Lachen. Als der Letzte dieses Tages strebte ich hinauf, traf meine Begleiter, erstieg das letzte Stueck, sah weisse Kuegelchen am Boden, sah den rotbraunen Boden mit Flecken sich sprenkeln, sah den Hang grau werden und wieder hell, sah aufgeschichtete Steinmaennchen und schliesslich anstelle des Kreuzes ein Holzgestell, und sah dahinter in andere Taeler hinunter, helle und dunkle.
Chin hatte mir einen Stock geliehen, zum ersten Mal ging ich dreibeinig, ich dachte, wenn sogar die Tiroler mit Schnitzstoecken gehen, so muss ich mich dieser Beinvermehrung nicht verweigern, und wurde schneller und lauter, und war bald nach Mittag wieder beim Rettungshaus und hatte einen nassen Schauer uebestanden.
Ich haette dort einen dieser Pfefferminztees getrunken, die man ueberall ausschenkt zum Wachbleiben, Schnellerwerden und Ruhigerwerden, wenn er wirklich bereits fertig gebrueht gewesen waere wie zugesichert, aber nach der verstrichenen Viertelstunde auf der Holzpritsche vorm Haus mit dem Ruecken an der Steinwand, die miteinander scherzenden Europaeer vor mir, wandte ich dem Haus den Ruecken zu und lief weiter, bald Rufe hinter mir. Die Talstrecken sind unterdes laenger geworden, viel laenger und steiniger als am Vormittag, die wirkliche Muehe war der Rueckweg. An der Bruecke am Bach stand ein leeres weisses Mausoleum eines Dschinn, vor diesen Geistern graut Muslimen, und solange ich alleine ging, konnte ich sie an den Berghaengen rufen hoeren von den Schafen her oder von vereinzelten Hirten, die ploetzlich aus dem Geroell ragen oder aus Distelpolstern und Schnalz/ und Zwitscherlaute zu Tal schicken mit vesteinerten Minen. Auf Eseln sitzend schaukelten Bergbewohner und erwiderten kaum den Gruss, den Blick zu Boden gerichtet, als wuerden sie die sorglosen Europaeer verachten, die ihnen fuer Geld das Gepaeck ueberliessen und leicht gekleidet hinterdrein sprangen und nur untereinander verkehrten. Lisa hat spaeter festgestellt, dass man kaum mit einem Marokkaner ins Gespraech kommen koenne, man sei einzig ein moeglicher Kaeufer hier fuer ichweissnichtwasundalles in allen Sprachen der Welt, darin seien sie zu bewundern. Uns dreien aber erklaerte der Sohn des Hauses an diesem Abend stolz die Gebetsnacht an einem der letzten Tage des Ramadan, wo der Himmelfahrt des Propheten gedacht wuerde, durch Rezitation des Koran, die wir durch die Hauswaende hindurch verfolgen konnten, die winzige Moschee war gegenueber: hier aber widersprach ich, die Himmelfahrt stuende nicht im Koran, nur in der Hadid, doch Hassan wiederholte geduldig das Gelernte und versicherte uns der Gewissheit und Zustimmung aller Glaeubigen angesichts der vorgetragenen Lehre, und wir bewunderten seine Innigkeit im Glauben, denn es ging um die persoenliche dankbare Hinwendung jedes Glaeubigen an seinen Schoepfer, und nicht nur um ein Ritual, und in dieser Nacht wuerde er zu drei oder vier Stunden Schlaf kommen, bis er fuer andere Wanderer wieder ein Fruehstueck richten wuerde im Morgengrauen, und fuer seine Familie davor. Ueber die Koransuren haben wir nicht mehr gesprochen am naechten Tag, ich haette die betreffenden nennen koennen, aber es wurden einige Zimmer ausgemalt, und fuer die Homepage steuerte ich einige tadellose Zimmerfotos bei. Ansonsten verbrachten wir den Folgetag mit Liegen, Lesen und Gespraechen, mit interkontinentalen und interreligioesen sozusagen.
Aber die letzten Kilometer des Tages schleppte ich mich ueber weite Boegen wie ein alter Mann am Stock, und wusste, dass meine Gefaehrten, die schon zurueck sein mussten, kein Bier wuerden auftreiben koennen, denn zum Abend/Couscous waren wir verabredet, und bis dahin fand ich sie schlafen, wie sie gekommen waren.

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