cadiz

Donnerstag, 25. Juli 2013

Aber jetzt

Die Kathedrale.
Sie thront ueber den darunter liegenden Platz - nicht so wie in Sevilla, wo sie ringsum eingezwaengt ist, oder noch schlimmer in Granada, wo sie eingeschnuert ist von Haeusern, Bars und Kraeuterstaenden, dass ihr die Luft ausgehn muss, oder gar wie in Cordoba, wo sie in die Moschee hineingezwaengt ist und hoechstens noch nach oben Luft bekommt. Also die Kathedrale von Cadiz thront. Aber das ist auch schon alles. Drinnen duester, eine Wuchtigkeit, die nicht zur Geltung kommt, ein Reichtum an den Seitenkapellen, der fad ist, ein glaenzendes Messgeschirr, das sich in der Sakristei absteht. Der riesige silberne Monstranzaufbau hinter eine Eisenbruestung geduckt. Eine kuehle Krypta, mit dem und jenem Toten, aus einem Stein, der keine Atmosphaere gibt. Das ganze Programmheft zaehlt lauter Einzelheiten auf, von denen man nicht weiss, warum sie interessant sein sollen. Es ist so wie die Netze, die oben zwischen den Saeulen verspannt sind, damit sie die Mauerbrocken auffangen, die sich von der Decke loesen: irgendetwas haelt das Ereignis zurueck, es bleibt im Hintergrund wie ein blasser Nebel im Dachgewoelbe. Und draussen, direkt vor den Mamorstufen auf den blanken, weissen Steinboden scheisst ein alter Schaeferhund, ungeduldig an der Leine gehalten von einem kleinen Maedchen, weil er sich nicht zurueckhalten laesst wie diese ganze riesige Kirche, sondern genug Kraft noch hat und Instinkt und Respektlosigkeit, um es zuzulassen, was kommen will und soll.

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Doch dann ging es los.
In diesem kleinen Castillo San Catallina. Ahnungslos betritt man es ueber eine kleine Steinbruecke und steigt durch einen Torbogen in das Fuenfeck dieser Verteidigungsanlage, und zwar ploetzlich auf sandigen Boden. Einige Besucher sitzen auf Baenken im Schatten und mustern den Neuankoemmling. Ein Kirchlein auf der Seite macht neugierig. Ich ducke mich durch den torlosen Eingang: nichts darin. Hereingelegt. Man sieht noch die Stellen am nackten Holzaufbau, wo Bilder hingen und Statuen standen. Ich fuehle andere Besucher im Ruecken und trete rasch zur Seite, durch einen Durchlass wie zur Sakristei, und nochmals hinaus ins Freie. Durch die Schiessscharten in der Mauer erscheint der stadtnahe Badestrand als Ameisengewimmel - ganz angemessen. Hinter einer weiteren unbeschrifteten Oeffnung stehen Tonkruege und Schautafeln, die auf die Gruendung von Cadiz durch die Phoenizier hinweisen. Als ich wieder draussen bin, muss ich das ehemalige Verbreitungsgebiet dieser Mittelmeer-Seefahrer landeinwaerts suchen, denn wir sind am Atlantik. Zurueck am Platz faellt mir jetzt die orientalische Atmosphaere auf, weil im Sand auch Palmen stehen. Hinter einer weriteren Maueroeffnung kommt eine Kunstausstellung zum Vorschein, Schriftzeichen, als graphische Symbole genommen, aber Titel und Kuenstlernamen lese ich erst am anderen Ausgang. Es gibt noch weitere Ausstellungen hinter weiteren Oeffnungen, und jedes Mal ist beim Heraustreten der Blick aufs Meer ein anderer. Das Fuenfeck ist jetzt ein marokkanisches Wuestendorf geworden, in das jeden Augenblick Kamele treten koennen.

Wieder in der Stadt, durchstreife ich nochmals das Gassengewirr am spaeten Nachmittag und bemerke diesmal ausdruecklich die Stille, gerade wenn sie vereinzelt durch leise Radiomusik aus einem offenen Fenster unterbrochen wird, oder von einem lauf pfeifenden Papagei oder Kanarienvogel, wie ich ihn auf der Schulter eines Mannes gesehen habe. Ich ziehe durch enge, ereignislose Gassenschluchten und muss mich bei jeder Kreuzung fragen lassen, was ich eigentlich will. Das ist das Herausfordernde in diesen spanischen Staedten. Der kleinste, vorlaeufigste Plan, nur ein Geschaeft suchen zum Obstkauf, nur eine Pizzeria, nur ein Cafe zum Fruehstuecken, zerfaellt bei der naechsten Kreuzung zu nichts. Denn jede Abzweigung verheisst Unaussprechliches. Eine stille Gasse, und ploetzlich ein lebendiger Platz mit den lustigsten Ereignissen. Ein Schritt auf die Hauptstrasse, doch nur oeder Verkehr und Gestank.
Ich trete also heraus auf einen laenglichen Platz. Ein starker Mann liegt seitlich auf einer Bank, den Kopf auf die sitzende Freundin gestuetzt. Ein alter Mann stakst mit seinem Stock durch die offene Mitte des Platzes, der Blicke aller rundum im Schatten Kauernden gewiss. Von der Platzseite entpuppt sich der von hinten byzantinisch anmutende Bau als Theater. Wie Darsteller eines unbekannten Stuecks wechseln nun Menschengruppen die Plaetze. Wie ein Publikum schauen die Gaeste von der Bar herueber.
Ueber Umwege komme ich wieder zurueck zu dem beschaulichen Platz, der mich schon vorhin so neugierig gemacht hat. Vereinzelte alte Leute sitzen auf der Bank, Kinder spielen, mancher Gast in der Bar schluerft ein Getraenk, denn die Kueche ist noch nicht in Betrieb. Fuer eine weitere Stunde nehme ich dort Platz und beobachte, wie die Szene sich langsam fuellt. Ein Elternpaar hat zu tun, den Sproessling im Kinderwagen bei Laune zu halten, und dann auch noch mit dem Mops, der immerfort wieder aus dem Brunnen zu fischen ist und den ganzen Abend zwischen irgendwelchen Fuessen wieder auftaucht auf dem neuerlichen Weg ins kuehle Nass. Die Kinderschar vervielfacht sich, die Stuehle werden nachund nach besetzt. Aus Haustoren treten Menschen, sich von jemand verabschiedend, andere kehren heim, Begruessungszeremonien am offenen Platz. Es stellt sich heraus, dass alle sich mehr oder weniger gut kennen, es ist eine Nachbarschaft, die nun auftritt. Die Barbesitzer beginnen nun, die Tische zurechtzuruecken, breiten Tuecher darueber, das Kindergeschrei versinkt allmaehlich im ansteigenden Gemurmel, da der Platz sich fuellt. Nur der Brunnen plaetschert waehrendessen unaufhoerlich, ohne dass jemand davon Notiz zu nehmen scheint.

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Es ist mit dem Ereignis so, dass es den Menschen braucht. Seine Entscheidung. Die richtige Entscheidung. Die richtige Abzweigung. Ansonsten bleibt die Zeit stehen, und es wird langweilig. Wiederholungen, Schleifen, Abirrungen. Man muss eine Weile reisen, um das zu begreifen. Jede Stadt hat ihre eigene Logik, in der man sich zurechtfinden muss. In Palermo waren es die Maerkte und Klosterkirchen, in Syrakus die Kurven, in Ragusa die Perspektiven der Mauerfiguren. Hier sind es die Abzweigungen im Gassenlabyrinth. Das Nahen und Schwinden von Ereignissen.

Heute frueh bin ich an der Kathedrale von Sevilla vorbeigegangen am Weg zum Bus. Es war offen, Stundengebet der Domherrn im Chor, mit Orgelbegleitung, was heisst: mit Orgelgesang!

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